Quo vadis Lebensversicherung?
Quo vadis Lebensversicherung? Die Zahl klingt beunruhigend: Im Jahr 2013 wurden wieder Lebensversicherungen im Wert von 14,7 Milliarden Euro vorzeitig gekündigt und an die Versicherten ausgezahlt. An Versicherte, die es seit diesem Zeitpunkt nicht mehr sind. So ist es in der GDV-Publikation „Die deutsche Lebensversicherung in Zahlen 2014“ nachzulesen. Da den vorzeitigen Kündigungen kein vergleichbares Neugeschäft gegenübersteht, verringert sich der Policenbestand – und damit auch das Anlagekapital der Versicherungsgemeinschaft – seit 2004 kontinuierlich. Die Gründe für die vorzeitige Kündigung können natürlich vielfältig sein. So kann beispielsweise das Versicherungsinteresse einfach wegfallen, etwa bei einer Scheidung, wenn die Kredite getilgt und die Kinder aus dem Haus sind. Andere Gründe sind schon eher existenzieller Art: Versicherte, die von Arbeitslosigkeit, Überschuldung, Tod von Angehörigen oder Krankheit betroffen sind, sehen in der Lebensversicherung zu Recht ein verwertbares Asset. Zu Recht. Versicherer sehen das anders – und vergeben damit seit Jahren eine einmalige Chance auf eine optimale Lösung für sich selbst, der Versicherungsgemeinschaft und den betroffenen Versicherten. Angesichts der Tatsache, dass jede zweite Police in Deutschland vorzeitig gekündigt wird, wie eine Allensbach-Studie aus dem Jahr 2007 nachwies, muss sich die Versicherungswirtschaft in Deutschland die Frage gefallen lassen, ob nicht doch eher grundlegend etwas mit dem Produkt Lebensversicherung falsch läuft. Dabei profitiert niemand von der Kündigung: Der Versicherte verliert seinen Versicherungsschutz und wird zudem mit hohen Stornogebühren belastet und die verbliebene Versicherungsgemeinschaft wird geschwächt. Und der Versicherer? Lange ging man davon aus, er würde die Gebühren als Stornogewinne verbuchen und als Einziger einen Nutzen aus dem Storno ziehen. Doch diese Auffassung ist längst betriebswirtschaftlich widerlegt: Verringert sich durch vorzeitige Auszahlungen der Kapitalanlagebestand, drückt dies auch auf die Überschussrenditen – einem wichtigen Rating-Merkmal für die Assekuranz. Gleichzeitig erhöht sich das Kapitalanlagerisiko aufgrund der Opportunitätskosten nicht realisierter Kapitalanlagegewinne. Bei Kündigungen von jungen Verträgen kommt sogar noch hinzu, dass diese noch nicht einmal ihre Abschlusskosten decken konnten. Um die Verluste auszugleichen, ist der Versicherer verstärkt auf das Neukundengeschäft angewiesen, welches wiederum mit hohen Vertriebskosten verbunden ist. Je höher das Stornovolumen, desto konservativer muss die Anlagestrategie sein. Andernfalls wäre das Risiko unkalkulierbar. Gerade in Niedrigzinsphasen ist es ohnehin schwer, mit konservativer Kapitalanlage Renditen zu erwirtschaften. Hinzu kommt, dass jeder Storno die finanzielle Reputation des Versicherers schädigt. Häufen sich bei einem Versicherer besonders viele Stornofälle, so häufen sich unweigerlich auch die Fragen in Bezug auf Zuverlässigkeit des Versicherers und der Qualität seiner Produkte. Auch diese Zahlen werden aufmerksam von den Ratingagenturen gelesen. Potentielle Neukunden dürfte diese Zahl ebenfalls interessieren. So alarmierend dieses hohe Stornovolumen ist – so groß ist die Chance für Versicherer und Berater, mit einem Stornomanagement gegenzusteuern. Dabei ist es noch nicht einmal notwendig, komplizierte Managementstrategien zu entwerfen. Wie so oft, werden solche Fragen durch den Markt geregelt: In diesem Fall durch den Zweitmarkt für Lebensversicherungen, der im Bundesverband Vermögensanlagen im Zweitmarkt Lebensversicherungen (BVZL) e.V. organisiert ist. Hier sind professionelle Ankäufer aktiv, die die Policen der stornowilligen Versicherten auf eigenes Risiko erwerben, ihnen einen Vorteil über Rückkaufswert auszahlen, die laufenden Prämienzahlungen übernehmen und dadurch die Police weiterführen. Für die Versicherten bleibt somit ein Rest-Todesfallschutz und für die Versicherer und die Versichertengemeinschaft der Kapitalanlagebestand erhalten. Immer mehr Versicherte, Berater und Versicherer schätzen die Arbeit der Zweitmarkt-Unternehmen als unverzichtbar für die Aufrechterhaltung des Erstmarktes ein. Die Kaufangebote des Marktführers Policen Direkt wurden sogar von der Stiftung Warentest in der Finanztest-Ausgabe 4/2012 als „Einziges Kaufangebot über Rückkaufswert in einer Summe“ bewertet. Letztendlich wird es der Verbraucher sein, der mit Hilfe des Zweitmarktes auch dem Erstmarkt und somit dem Produkt Lebensversicherung eine neue Wertschätzung entgegenbringen wird: Denn er wird viel eher bereit sein, einen Vertrag mit 30 Jahren Laufzeit zu unterzeichnen, wenn er weiß, dass er ihn bereits nach 15 Jahren mit Gewinn veräußern kann. Denn die Lebensversicherung kann sich erst durch den Zweitmarkt zu einer eigenständigen Assetklasse für Anleger und Investoren entwickeln, die an einem attraktiven Rendite-Risiko-Profil interessiert sind.
Von Matthias Wühle
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